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Wassermorgen

(Editorial Mitteilungsblatt September 2019)

 

Etwas unfreundlich erscheint der kühle und feuchte Wind aus Richtung Weissenstein. Verhangene Wolken in jeder Richtung und die tief runterhängenden Äste der Bäume im Wald vom Moos deuten auf eine verregnete vergangene Nacht hin. Die immer noch satt bewachsenen Wiesen glitzern im knappen Licht des Tagesanbruchs, weil die Regentropfen in grossen Mengen auf den Gräsern hangen und diese flach zu Boden drücken. Zwei Raben streiten sich auf der Strasse um eine runtergefallene Eichel, bis der kleine Junge diesen zu nahe ist und sie wiederwillig auf den nächstgelegenen Baum flüchten. Der Junge spaziert in warmer Jacke und hohen Gummistiefeln dem Strassenrand entlang und dem Waldrand entgegen.

 

In einer länglichen Pfütze am Rand der Strasse kann er es sich nicht verkneifen, den Zweck seiner Stiefel auf die Probe zu stellen. Scheinbar zögerlich hält er erst die Sohle des einen Stiefels langsam auf die Oberfläche der Wasseransammlung. Als sich das Spiegelbild verzerrt und kleine Wellen nach Aussen über die Pfütze schwingen tritt er fest auf den Grund. Das klare Wasser verfärbt sich infolge des aufgewirbelten losen Untergrunds schnell zu einer trüben Sauce. Der zweite Stiefel, welcher jetzt ebenfalls auf den Grund der Wasseransammlung platscht, beschleunigt dies und bald ist die Pfütze gleichmässig braun. Der Junge geniesst es «zusammenfüsslig» der länge nach durch die Pfütze zu hüpfen und dabei das Wasser um sich herum zu spritzen.

 

Ein Geräusch im Wald lenkt ihn jedoch ab und er bleibt starr stehen. Ein Reh springt nur wenige Meter von ihm entfernt in das Dickicht und verschwindet im Gewirr der Äste und der herbstlichen Blätter. Als der Junge den Sichtkontakt mit dem Wild verloren hat, springt er mit langen Schritten hinterher, ebenfalls in die Baum- und Sträucherwelt hinein. Schon bald bemerkt er jedoch, wie Massen von Wasseransammlungen auf dem Grünzeug ihn von oben bis unten nässen und seine Kleider sowie seine braune buschige Haarpracht durchtränken. Das Reh ist mittlerweile über alle Berge verschwunden und nicht mehr sichtbar. Ob er sich darüber ärgert oder über seine feuchte Situation, ist ihm im Moment nicht ganz klar.

 

Trotzdem geht er tiefer in den Wald hinein, einer kleinen Lichtung entgegen, wozu er geduckt unter den Ästen von saftig grünen Tannen schleichen muss und mit den feinen stacheligen Ästen zu kämpfen hat. Die Lichtung erreicht, betrachtet er sich erst einmal von oben bis unten und stellt fest, dass er wie ein paniertes Schnitzel aussieht. Die trockenen und dürren Rinden der Tannen sind an seiner nassen Kleidung hängen geblieben.

 

Auf der anderen Seite der Lichtung im hohen Gras erblickt er einen jungen Fuchs, welcher damit beschäftigt ist Wasser zu trinken. Vorsichtig nähert sich der Junge dem Reineke mit dem Ziel so nahe wie möglich an ihn heranzukommen. Die Schritte durch das schwere durchtränkte Waldgras sind  mühsam und beschwerlich. Vom Jungen aufgescheucht flattert eine Amsel erschrocken aus dem verwachsenen Boden auf zum nächsten Strauch und setzt sich dort beobachtend hin. Durch die Amsel aufmerksam gemacht, entdeckt nun auch der Fuchs den Jungen. Sie schauen sich erst gegenseitig tief in die Augen und nach wenigen Sekunden wendet sich der Fuchs und verschwindet im Dickicht. An der Stelle angekommen wo der Fuchs am Trinken war, sieht er Wasser aus dem Boden Quellen, welches in einem Rinnsal durch den Wald wegfliesst. Er folgt dem kleinen Bächlein bis kurz vor einem Waldrand, wo dieses plötzlich in dürren Ästen und Blättern versickert und verschwindet.

 

Auf der Wiese nahe dem Wald entdeckt er eine Herde mit Pferden, die sich verspielt auf der Koppel hin und her jagen. Dieses Gezanke will er sich näher anschauen und geht über die Wiese, bleibt aber an einer riesigen meterlangen Pfütze, welche sich vom Regen in der Weide angesammelt hat, stehen. Er will schauen wie tief diese ist und geht in kleinen Schritten auf die Mitte des kleinen Sees zu. Das Wasser reicht ihm bis gut an die halbe Höhe der Stiefel und er fühlt sich sicher mit seinen hohen Gummischuhen. Er schenkt gerade einen Blick den losgaloppierenden Pferden, als er plötzlich mit beiden Füssen in eine vom Wasser zugedeckte Mulde abrutscht und bis zu den Knien im Wasser steht. Rasch füllen sich die Stiefel mit der Flüssigkeit und er springt erschrocken aus der Wasseransammlung hinaus zum Zaun der Koppel. Dort befreit er Stiefel um Stiefel vom kalten Wasser. Ein Weilchen beobachtet er noch die Herde, hat aber dann bald kalt und beginnt an zu frösteln. Der Wind aus Richtung Weissenstein bläst immer noch eisig und ungemütlich und bewegt den Jungen schliesslich nach Hause zu gehen.

 

 

Zuhause angekommen erklärt er seiner Mutter sein Ungeschick und zieht sich wieder warme Kleider an. Seine Mutter hat ihm frisches Wasser gekocht und ihm einen wärmenden Tee angerichtet.

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