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LUFT, FREIHEIT UND LIEBE

(Geschichte im Rahmen der wöchentlichen Corona Information der Gemeinde Kernenried, 2020)

 

 Die grossen Pandabären sind Einzelgänger und lieben es in der freien Natur zu sein. Obwohl sie etwas plump und schwerfällig wirken, sind sie sehr geschickt und klug. Im chinesischen Hinterland lebte vor vielen Jahren ein junger zierlicher Bär. Alle kannten ihn, weil er in seinem Fell an der Brust eine Zeichnung hatte, welche wie ein grosser Adler aussah. Weil er so klug war, kamen immer viele andere Bären zu ihm und fragten ihn nach Rat und Tat. Bald war er im ganzen Gebiet bekannt und er wurde von allen Bären, ja sogar von anderen Tieren wie Hasen, Vögel, Luchse und vielen mehr, stets um Hilfe gebeten.

 

 

Er wusste immer wo es etwas zu Fressen gab. Warnte die anderen Tiere, wenn Gefahr lauerte und verhalf ihnen zur Flucht. So zum Beispiel als es einmal tagelang regnete und schliesslich die Flüsse über die Ufer traten. Dies spürte der Bär zum Voraus, trommelte alle Tiere zusammen und ging mit ihnen in die Berge. So überlebten alle Tiere, bevor die grosse Flut im Unterland alles überschwemmte.

 

Oft sah er irgendein Raubtier auf der Lauer und warnte die anderen, bevor das Raubtier zuschlagen konnte. Wenn die Tiere auf Wanderschaft waren, wusste der Pandabär immer welchen Weg sie nehmen mussten. Eines Tages gab es eine grosse Dürre und Trockenheit. Während vielen Wochen regnete es nicht mehr und eine grosse Hungersnot kam über sie herein. Obwohl das Hinterland von China sehr fruchbar ist, kam es zu dieser Katastrophe. Viele Tiere und Menschen mussten hungern und starben. Doch der Pandabär fand heraus, dass man in der Erde graben kann und so zu Wasser und nahrhaften Wurzeln kommt. Dies erzählte er allen Tieren und rettete hunderte von Leben.

 

 

Wegen des schönen Fells und hübschen Aussehens der Pandabären, wurden sie auch von den Menschen gejagt, getötet oder in Gefangenschaft genommen. So geschah es eines Tages, dass auch unser kluger Bär nichts ahnend in eine Falle tabte und von einem bösen Tierhändler gefangen genommen wurde. Nachdem der Bär viele Nächte und Tage in einer engen und dunklen Holzkiste zubrachte, wurde er in eine grosse Stadt gebracht. Dort auf dem Markt wurde er an einer Kette zur Schau gestellt und zum Verkauf angeboten. Ein junger Handelsmann aus Europa, welcher viele Geschäfte in Asien tätigte und zeitweise auch dort in einem grossen Landhaus wohnte, sah während eines Einkaufbummels den traurigen Bären an seiner kurzen rostigen Kette liegen. Er ging zuerst am Bären vorbei, hatte aber dann Mitleid mit ihm und dachte sich, was wohl das arme Tier durchmachen müsse. Den ganzen Tag musste er an das arme Lebewesen denken. Es gieng ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.

 

 

Als er am Abend wieder durch die Stadt, auf dem Weg nach Hause, unterwegs war, gieng er absichtlich nochmals am Platz vorbei, wo er den Bären gesehen hatte. Dieser war jedoch nicht mehr zu finden. Am nächsten Tag verliess der Handelsmann etwas früher das Haus, um nochmals nach dem Bären zu sehen. Siehe da! An derselben Stelle wie am Vortag, fand er den Bären an der Kette liegend. Vorausahnend hatte er eine grosse frische Orange in seine Tasche gepackt, welche er dann dem Bären hinreichte. Als der Panda die Orange nahm, freute er sich sehr darüber. Der Handelsmann hatte sogar das Gefühl, dass der Bär ihm ein Lächeln schenkte. Als der Bär aber die Orange zu essen begann, erinnerte er sich an das schöne Leben in Freiheit und die gute Nahrung im Hinterland. Das machte den Bären sehr traurig und er begann laut zu knurren – uuuhhhhää... grrrrgrrrr uuuhhh. Darauf versetzte der Tierhändler dem Bären mit einer grossen Eisenstange einen heftigen Schlag auf den Kopf und Rücken. Dabei schrie er: „sei still, du jämmerliches Tier!“

 

Als dies der Handelsmann sah, riss er dem Tierhändler die Stange aus der Hand und packte ihn am Kragen. „Lass das arme Tier in Ruhe oder ich prügle dich zu Boden“, schrie der Handelsmann. Der Tierschänder wimmerte vor sich hin: „Das ist doch bloss ein dummer Bär. Lass mich in Ruhe oder kauf mir den Bären ab, wenn du dich schon so um ihn sorgst“. Der Handelsmann hatte bedauern mit dem Bären und streckte dem Händler einige Silbermünzen entgegen. Der Händler meinte jedoch: „das ist zuwenig, der Bär hat mich mindestens das doppelte gekostet“. Der Handelsmann nahm daraufhin die Hand des Händlers drückte ihm die Münzen in die Hand und schrie ihn an: „nimm diese Münzen und verschwinde oder ich prügle dich eigenhändig aus der Stadt, du verabscheuungswürdige Seele“. Daraufhin bekam es der Händler mit der Angst zu tun und rannte so schnell er konnte davon.

 

 

Während vielen Monaten genoss der Bär ein angenehmes Leben mit seinem neuen Herrn auf dem Landsitz. Er war dort zwar in einem grossen Garten mit vielen Bäumen eingesperrt, wurde aber von allen Menschen dort gut behandelt. Oft, wenn der Herr nach Hause kam, spielte er mit dem Bären im Garten herum. Der Bär war ja auch sehr zutraulich und hatte den Handelsmann besonders gern. Eines Tages kam jedoch der Handelsmann nicht mehr nach Hause. Jeden Abend wartete der Bär vor dem grossen Eingangstor auf den diesen, um mit ihm zu spielen und sich von ihm im Fell kraulen zu lassen. Es war aber vergeblich, der Mann kam nicht mehr. Nach einigen Tagen kamen andere Leute in das Haus. Als sie den Bären dort sahen, hatten sie Angst vor ihm und legten ihm eine grosse Kette um den Hals sowie um die Beine. Niemand mehr kümmerte sich um ihn. Er erhilt jeden Tag nur noch etwas altes Brot und Wasser und er hatte stets grossen Hunger. Wochen darauf kamen einige Männer mit langen Stangen und Ketten. Diese fesselten ihn und packten ihn in einen Käfig auf einem Wagen, welcher von zwei Pferden gezogen wurde. Nach einer langen und anstrengenden Fahrt über Stock und Stein, gelangten sie zu einem kleinen Zoo in der Stadt. Dort wurde der Pandabär in einen kleinen engen Käfig gesperrt.

 

 

Er hatte jeden Tag nur einige alte verfaulte Früchte zu essen und wurde von vielen Leuten bestaunt. Einige der Leute nahmen Steine und warfen sie gegen ihn. Andere plagten ihn mit langen Stöcken, indem sie ihn damit in die Seite und an den Kopf schlugen. Der Bär konnte sich in dem Käfig nicht wehren und konnte auch nicht wegrennen. Durch diese Pein wurde er von Tag zu Tag trauriger und träumte in der Nacht, wenn es ruhig war, immer von den schönen Zeiten im chinesischen Hinterland. Nur dank diesen schönen Erinnerungen ertrug er dieses harte Leben und seine Traurigkeit. Er glaubte immer fest daran, dass er es einmal in seinem Leben wieder besser haben werde.

 

 

Nach ungefähr zwei Jahren war der Pandabär vor lauter seelischem Schmerz völlig grau geworden. Er hatte nur noch etwa die Hälfte seines Körpergewichts. Seine Augen waren rot glühend, was sein Leiden zum Ausdruck brachte. Doch niemand interessierte dies und niemand kümmerte sich um ihn. Die Zoobesucher waren mehrheitlich böse und gemein zu ihm und am liebsten hätte er jeden einfach gebissen, obwohl er eigentlich ein ruhiger und gutmütiger Bär war.

 

An einem sonnigen Tag rannte ein kleines Mädchen vor dem Käfig durch und blieb plötzlich stehen. Der Bär dachte schon, jetzt kommt gleich wieder ein Stein oder ein Stück hartes Holz geflogen. Doch das Mädchen sprach mit sanfter und liebevoller Stimme zu ihm. Es spürte die Traurigkeit und hatte Bedauern mit dem Bären. Als das Mädchen mit ihm sprach, hatte er plötzlich das Gefühl, als ob er dieses kennen würde. Er konnte sich aber noch so anstrengen, er erinnerte sich nicht, wann er dieses schon mal gesehen haben könnte.

 

 

Plötzlich stand ein Mann neben dem Mädchen, welcher seine Hand auf den Kopf dessen legte und zu ihm sprach. Da durchfuhren ihn vermischte Gefühle aus Freude, Glück, Wohlsein und bald wieder tiefer Einsamkeit. Es war der Handelsmann mit seiner Tochter, welche ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah. Der Mann erzählte dem Mädchen, dass er vor einigen Jahren ebenfalls einen solchen Pandabären besessen habe. Es hätte jedoch im ganzen Land Krieg gegeben und sein Landhaus wurde einfach von Fremden beschlagnahmt. Der Bär sei dann verkauft worden, er wisse aber nicht an wen.

 

Jetzt wo der Krieg vorbei ist, konnte der Mann sein Landhaus wieder in Besitz nehmen und er lebt mitlerweilen mit seiner ganzen Familie dort.

 

 

Er erzählte dem Mädchen, wie er zu dem Bären gekommen war, als er plötzlich verstockte. „Ehhhh..., schau doch diesen grauen Pandabären an. Ganz schwach kann man noch die Zeichnung eines Adlers an seiner Brust erkennen. Ist dies etwa der Pandabär, welchen ich besessen hatte?“ In zügigen Schritten gieng der Mann und das Kind weg. Der Bär war glücklich, dass er den Handelsmann nochmals gesehen hatte, auch wenn er immer noch in Gefangenschaft des Zoos und der Mann wieder weg war.

 

Am nächsten Morgen früh, kamen einige Wärter mit grossen Stangen und Ketten und begannen ihn zu schlagen und zu fesseln. Plötzlich brüllte ein Mann: „hört auf, kommt aus dem Käfig raus und lasst mich machen.“ Da sah der Bär den Handelsmann auf ihn zukommen. Er war noch etwas verängstigt und knurrte den Mann zuerst ebenfalls an. Doch der Handelsmann sprach leise und vertraut zu ihm und streckte ihm eine grosse saftige Orange entgegen. Da erinnerte sich der Bär wieder, wie ihn der Mann schon einmal aus einer grausamen Gefangenschaft befreit hatte. Der Bär lies sich an eine Kette binden und begleitete den Handelsmann aus dem Zoo. Nach einer erneut holprigen Fahrt auf einem Pferdegespann, gelangten sie wieder zu dem altbekannten Landhaus. Dort im Garten wurde er frei gelassen und er fühlte sich gleich wieder wie zuhause. Er freundete sich während einigen wenigen Wochen auch sehr gut mit dem kleinen Mädchen an. Sie spielten im Garten und assen gemeinsam leckere Früchte. Ab und zu schliefen sie sogar eng aneinander gekuschelt und verbrachten so die Nacht zusammen.

 

 

Als das Tier wieder gut genährt war und sogar sein Fell wieder die ursprüngliche Farbe hatte, wurde er von dem Handelsmann in einen Wagen gebracht. Er selber fuhr ihn in Begleitung des Mädchens mehrere Tage lang über Land in das Hinterland. Dort wurde er frei gelassen, wobei das Mädchen heftig weinte und ihn lange umarmte. Sie wusste, dass es das richtige war, den Bären wieder frei zu lassen.

 

 

Der Bär freute sich sehr, wieder in Freiheit in seiner alten Heimat zu sein. Er kletterte auf einen Baum nach dem anderen und genoss es, wieder auf die Hügel und Berge zu steigen. Er liess sich die Sonnenstrahlen auf dem Bauch zergehen und atmete vor Glück jeden Luftzug mit doppeltem Genuss ein. Trotz allem Glück und aller Freude an seiner Freiheit im chinesischen Hinterland, verspürte er aber plötzlich ein merkwürdiges Gefühl des Verlangens. Er vermisste den Handelsmann und das kleine Mädchen. Er hatte sich an das glückliche Leben auf dem Landhaus bei seinen menschlichen Freunden gewöhnt.

 

Von weitem hörte man eine Kirchenglocke läuten. Es war kurz nach dem Frühstück. Die ganze Familie war hübsch gekleidet und im Begriff in eine Kutsche zu steigen. Der Handelsmann kam gerade durch die Haustüre hinaus in den Garten. An der Hand hatte er seine kleine süsse Tochter, welche ein zierliches hellblaues Kleidchen und weisse Lackschuhe trug. Sie waren auf dem Weg in die Kirche.

Plötzlich blieb das Mädchen wie angewurzelt stehen. Im nächsten Augenblick riss sie sich von der Hand ihres Vaters los und sprang neben der Kutsche vorbei in Richtung Eingangstor. Der Vater etwas verwundert, schaute ihr nach und sah erst nach genauerem Hinschauen, dass an einem der Eingangssäulen ein Pandabär sass und zu schlafen schien.

Sofort gieng ihm durch den Kopf, dass dies ihr Pandabär sein muss. Auch er rannte jetzt los, holte seine Tochter ein und nahm sie rennend an der Hand. Beim Bären angekommen, erkannten sie ihren Bären mit der Adlerzeichnung auf der Brust. Beide umarmten ihn und freuten sich ihn zu sehen.

 

Der Bär war viele Tage unterwegs gewesen, um zu ihnen zu gelangen. Er hatte die lange Wanderung und hat die Strapazen dafür auf sich genommen, um wieder bei seinen Liebsten zu sein. Sein Weg war sehr beschwehrlich und gefährlich gewesen. Vom vielen Laufen hatte er blutende Pfoten und er musste erst einige Tage gepflgt werden, bevor er wieder im Garten herumrennen konnte.

Von nun an lebte er bei der Familie im Garten und an besonderen Tagen, durfte er sogar in das Haus hinein und gesellte sich zu den lieben Menschen, die dort lebten. Unter uns gesagt. Ab und zu schmuggelte das Mädchen den Bären auch in ihr Zimmer, wo sie gemeinsam die Nacht verbrachten. Am Morgen früh, bevor die anderen wach waren, schliechen sich die beiden dann wieder hinaus in den Garten. Natürlich wusste dies der Vater, weil er seiner Tochter vor dem Schlafen gehen immer noch einen Besuch abstattete und ihr ein Küsschen gab. Dabei sah er die beiden jeweils im Bett liegen, was ihm aber egal war. Hauptsache die Tochter und der Bär waren glücklich und gesund.

 

 

Der Bär war von da an nie mehr unglücklich. Er sagte sich dann oft, es hätte sich gelohnt, die schweren Zeiten durch zu machen. Schliesslich sei er jetzt der glücklichste Pandabär auf der ganzen Welt.

 

 

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