· 

Hosenlupf mit dem Bären

(Geschichte im Rahmen der wöchentlichen Corona Information der Gemeinde Kernenried, 2020)

 

Eine zerzauste Frisur, bestückt mit etwas Stroh und Moos aus dem Wald und schmutzige Wangen sind längst das Markenzeichen vom Käru. Er ist vorwitzig und oft etwas tollpatschig und nicht selten in ein selbst verschuldetes Missgeschick verwickelt. Als Sohn eines Lastwagenchauffeurs und der Sigristin lebt er behütet in einem kleinen Haus im Unterdorf nahe der Hauptstrasse. Am liebsten hält er sich irgendwo im Wald auf und meidet nach Möglichkeit die Schule, obwohl er einfach lernt und gute Noten hat. Vielleicht hat er diese jeweils mit der Motivation wenig Aufgaben zu haben und schnell nach Draussen zu kommen.

 

Angespornt von seiner Mutter und dem gelegentlichen Trinkgeld, sammelt er für viele Leute im Dorf die Milchkessi ein und verteilt diese dann gefüllt wieder an ihre Besitzer zurück. Um die Kessi sicher von einem Ort zum anderen zu transportieren hat er ein altes Leiterwägeli, welches er von seinem Grossvater geschenkt erhalten hat, mit Halteboxen ausgestattet und alles bunt bemalt. Regelmässig nach der Schule und nach erledigten Aufgaben startet er seine Tour im Chutzemoos im Norden des Dorfes, dann zum Chappeli bzw. in’s Holz und über die Hauptstrasse in das Oberdorf, wo auch die Käserei liegt. Am Abend nachdem die Bauern ihre Milch abgegeben haben, holt er die gefüllten Milchkessi wieder ab. Oft legen die Leute auch einen Zettel in das leere Kessi mit zusätzlichen Einkäufen, welche Käru dann mit der Milch zusammen den Bestellern zurückbringt. Zur Bezahlung wird jeweils genügend Geld in den Kessi mitgegeben. Der Käser packt dann das Retourgeld in ein je Kunde angeschriebenes Couvert, welches ebenfalls von Käru wieder an den Empfänger gebracht wird. Oft erhält er dann davon einen Batzen als Lohn und verdient sich so ein stattliches Sackgeld. Zum sicheren Transport des Geldes hat er eine alte lederne und zerknitterte Kartentasche seines Vaters aus der Militärzeit, welche er jeweils stolz umgehängt hat.

 

Heuer ist ein besonders kalter Winter mit regelmässigen Schneefällen bis in die Niederungen. Der tiefe Schnee und Temperaturen von bis zu über minus zwanzig Grad Celsius erschweren überall das Alltagsleben. Dies lässt das Geschäft von Käru florieren und bringt ihm auch vorübergehende Kundschaft, welche er üblicherweise nicht zu bedienen hat. Nicht selten kämpft er sich dann durch das Schneegestöber und leidet trotz warmer Bekleidung unter der bitteren Kälte. Mit einer Decke und einer Blache über dem Leiterwägeli verhindert er das Einfrieren der Milch und anderen Lebensmitteln. Heute ist es wieder einmal besonders kalt und die schneegeräumten Strassen sind spiegelblank gefroren. Bereits ist es finster geworden und die wenigen Strassenlaternen scheinen nur wie das Licht einer Kerze durch die fröstelnde Luft zu schimmern. Käru hat gerade mal die Hälfte des Oberdorfes ausgeliefert, als er sich zum Aufwärmen in eine windgeschützte offene Scheune eines Bauernhauses zurückzieht, um für einen Moment dem alles durchdringenden Wind zu entkommen und sich wieder etwas aufzuwärmen. Er schlägt die Hände mit den dicken Handschuhen immer wieder fest zusammen und kuschelt sich dabei in die wärmende Winterjacke hinein. Das Gesicht hat er bis auf eine Lücke für die Augen tief in den Fellkragen und die Kapuze mit Mütze verzogen, als er hinter sich in der Dunkelheit des Schuppens ein merkwürdiges Geräusch vernimmt. Die Mischung aus klirren und einer Art grunzen in der tiefen Finsternis im Hintergrund weckt Käru’s jugendliche Neugierde. Er lässt das Leiterwägeli in der Einfahrt der Scheune stehen und tastet sich langsam ins Dunkle und Unbekannte. Die Geräusche kommen immer näher und näher. Sehen kann er nur knapp einige Umrisse von Maschinen und landwirtschaftlichen Geräten. Gerade als er denkt er sei bei den Lauten angekommen, stolpert er mit Lärm und Gefluche über eine Werkzeugkiste, die ihm den Weg versperrt hat. Er steht wieder vom staubigen Boden auf und hat endlich die hinterste Ecke der Scheune erreicht. Seit seinem Sturz sind jedoch die Geräusche, die ihn in die Scheune lockten, verstummt. Käru tastet bereits eine Zeitlang seine Umgebung ab, als er plötzlich wieder etwas beim Scheunentor hört. Er sieht aus der Distanz, wie sich irgendetwas auf seinem Leiterwägeli bewegt. Blitzschnell springt er wieder zurück, stolpert erneut über die Werkzeugkiste am Boden, kann sich dieses Mal aber auf den Beinen halten, zerreisst sich aber dabei seine Hose und erreicht endlich in voller Aufregung das Leiterwägeli. Im letzten Moment sieht er noch wie ein Waschbär mit seiner alten Kartentasche im Gebiss um die Hausecke verschwindet. Es dauert einen Augenblick, bis er wieder aus seinem ungläubigen Erstarren erwacht und dem Tier hinterherrennen kann. Weit und breit ist nichts mehr von dem Waschbären zu sehen. Mögliche Spuren im Schnee sind längst vom Winde verweht. Nachdem er minutenlang alles abgesucht hat und durch und durch friert, gibt er es auf. Was soll ich bloss jetzt machen, denkt er sich. Alles Geld ist weg und mir wird kaum jemand glauben, dass ein Waschbär meine Tasche gestohlen hat.

 

Hängenden Hauptes geht er wieder zur Käserei zurück und erzählt dort die mysteriösen Geschehnisse. Obwohl die dort anwesenden Bauern und der Käser ihm die Geschichte nur skeptisch abnehmen, versichern ihm diese, dass der Waschbär keinen richtigen Winterschlaf macht und auch im Winter regelmässig auf Futtersuche ist. Zudem sei vermehrt auch von anderen Leuten ein Waschbär in der Gegend gesehen worden. Die Anwesenden wissen um die gute Arbeit des Jungen zugunsten der Dorfbevölkerung und wertschätzen diese indem sie ihm das verlorene Geld zusammenlegen.

 

Schliesslich hat er alle Milch und die Lebensmittel inklusive des Retourgeldes an die rechtmässigen Besitzer verteilt. Müde und erschöpft geht er nach Hause und verschwindet sofort, ohne etwas seinen Eltern zu erzählen ins Bett. Dabei schläft er schlecht, erwacht immer wieder und hat verschiedene gruslige Alpträume, in denen immer wieder ein Waschbär vorkommt.

Bereits am Morgen früh noch vor der Schule, sucht er erneut das Bauernhaus mit der Scheune auf und sucht die Umgebung nochmals nach seiner Tasche ab. Leider ohne Erfolg. Nach der Schule geht er anstelle nach Hause zu gehen, schnurstracks über den Bützacher und quer über den Stallacher zum Wald beim Hornusserhüttli. Er hatte bei der Suche am Morgen das Gefühl er hätte Spuren gesehen, die in diese Richtung führten. Das Fährtenlesen von Käru war erfolgreich. Unter dem Brunnen beim Hornusserhüttli findet er sein ledernes Militärutensil wieder. Das etwas zerbissene und mit Schmutz überzogene Lederteil beinhaltet noch alles was vor dem tierischen Diebstahl darin enthalten war. Ganz offensichtlich scheinen Waschbären nicht zur Gattung der Numismatiker und den geldgierigen Lebewesen zu gehören, sonst hätte er die Tasche wohl zerbissen.

 

Als Käru selben tags das wieder gefundene Geld seinen Spendern zurückgeben wollte, haben dieselben ihm alles geschenkt. Er sei ein flotter Kerl und tue viel Gutes, was auch belohnt werden soll.

 

Mit dem unerwarteten Geldsegen kauft er sich am nächsten Tag in der Stadt gleich eine neue Hose. Ein kleiner übriggebliebener Restbetrag verwendet er für den Kauf frischer Brätzeli beim Bäcker. Diese will er seinen Eltern zum Kaffee bringen. Auf dem Heimweg geht er mit dem Velo nochmals zum Hornusserhüttli und versucht den Spuren des Waschbären zu folgen. Diese führen ihn zuerst in das Underholz und von dort zurück in den Wald im Schwanterain. Hier verschwinden die Spuren in einem Dickicht. Käru stellt sein rot angemaltes Militärfahrrad an einen Baum, packt die Papiertasche in der die Hosen und die Brätzeli eingepackt sind auf den Gepäckträger und geht kniend auf die Suche unter den verschneiten Ästen der kleinen Tannenbäume. Kaum ein paar Meter auf allen Vieren, hört er ein lautes Klappern und er weiss sofort, dass dies sein Drahtesel sein muss. Wie von den Hunden gejagt, kommt er wieder nach vorne auf den Waldweg gekrochen und sieht gerade noch, wie der Waschbär mit seinem Papiersack verschwindet. Er muss nicht lange suchen und findet die Tüte den Spuren folgend wieder im Oberholz. Sie ist völlig zerrissen, inklusive der neuen Hose. Die Brätzeli findet er nirgends mehr. Diese hat sich gewiss der Waschbär schmecken lassen.

 

Die ganze Geschichte hat am Familientisch richtig viel zu lachen gegeben. Gleich am nächsten Tag hat die Mutter dann frische Brätzeli gemacht und der Geschichte noch ein gutes Ende beschert.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0